DÄO – Bruckner und Beethoven in Bonn und Bad Ems

Beethoven 1805
Ludwig van Beethoven 1805

 

Liebe Mit-Musiker,

das 1806 uraufgeführte Violinkonzert von Ludwig van Beethoven ist im Repertoire eines Geigensolisten ein geradezu monolithischer Meilenstein. In Beethovens einzigem Violinkonzert wird dem Solisten eigentlich alles abgefordert: souveräne Beherrschung der Technik, feinsinnige Gestaltung der klassischen Figuren und Gesten und auch das lyrische und intensive Spiel der Melodiebögen stellen Herausforderungen, die dann auch noch im Rahmen einer in sich schlüssigen Fassung verbunden werden wollen, wohlgemerkt in einem Werk, das heutzutage jeder kennt!

Die zeitgenössische Rezeption des Werkes war nicht von vornherein ausschließlich euphorisch. Der Wiener Kritiker Johann Nepumuk Möser schrieb nach der Uraufführung in der „Theater-Zeitung“:

Programm Konzert Uraufführung Beethoven VKZ“ Ueber Beethhofens Concert ist das Urtheil von Kennern ungetheilt, es gesteht demselben manche Schönheit zu, bekennt aber, daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten. Es sagt, daß Beethhoven seine anerkannten großen Talente, gehöriger verwenden, und uns Werke schenken möge, die seinen ersten Symphonien aus C und D gleichen, seinem anmuthigen Septette aus Es, dem geistreichen Quintette aus D dur, und mehreren seiner frühern Compositionen, die ihn immer in die Reihe der ersten Componisten stellen werden. Man fürchtet aber zugleich, wenn Beethhofen auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum übel dabey fahren. Die Musik könne sobald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bey ihr finde, sondern durch eine Menge unzusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisiren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Koncert verlasse. Dem Publikum gefiel im allgemeinen dieses Conzert und Clements Phantasieen außerordentlich.“

Das Beehoven-Konzert geriet in den folgenden Jahren etwas aus dem Blickfeld des Konzertbetriebes, wurde aber 1844, 17 Jahre nach Beethovens Tod, durch eine Aufführung mit dem damals erst 12-jährigen Joseph Joachim (der später u.a. das Violinkonzert von Brahms aus der Taufe hob) unter der Leitung von Felix Mendelssohn zum Durchbruch emporgehoben.

Joseph_Joachim
Der Geiger Joseph Joachim

Beethoven perfektioniert in seinem Violinkonzert die Kunst des Aufblühens von äußerst simplen Grundmotiven (einem viermal erklingenden Paukenschlag im ersten, einem Dreiton-Tonleiterausschnittmotiv im zweiten und einem simplen Arpeggio im dritten Satz), und gerade die Violine scheint für dieses Entfalten und Wachsen von ursprünglich geradezu plakativ simplen Motiven prädestiniert zu sein. Auf dem Weg von Haydn und Mozart über Mendelssohn zu Brahms steht Beethovens Violinkonzert genau im historischen Mittel- und Scheitelpunkt, quasi an der Spiegelachse.

Judith Stapf
Judith Stapf

Das Beethoven-Konzert muss mit größtmöglicher Aufmerksamkeit zwischen Orchester und Solist musiziert werden, weswegen ich für die Vorbereitung jedes Einzelnen das Studium verschiedener Aufnahmen empfehle, um das gesamte Werk mit allen Elementen zu erfassen. Als Einstieg empfehle ich die Aufnahme von Nathan Milstein oder, wenn man eine seltene Aufnahme einer Probe sehen möchte, diese Aufnahme von Karajan und Anne-Sophie Mutter von 1980. Modernere Aufnahmen gibt es von Isabella Faust (hier leider nur ein Ausschnitt)  und von Vadim Repin.

Unsere Solistin ist Judith Stapf, eine junge und dennoch schon mehrfach preisgekrönte Geigerin aus der Region, die neben zahlreichen solistischen Auftritten auch bei einem interkulturellen Projekt namens „Spiel mir das Lied vom Leben“ gemeinsam mit dem Holocaust-Überlebenden Jerzy Gross im Mittelpunkt einer WDR-Dokumentation stand (genauer nachzulesen auf der Internetseite des Projektes).

Anton Bruckner befindet sich mit seiner 4. Symphonie Es-Dur ebenfalls an einem musikgeschichtlichen Scheitelpunkt. Einerseits schrieb er sie an einem Wendepunkt in der Geschichte der Form der Symphonie: viele Komponisten waren der Ansicht, dass die Symphonie nach Beethoven eigentlich nicht mehr weiterentwickelt werden könne und verlegten sich auf die Überführung der Inhalte und Ausdrücke in andere Formen (Liszt in die symphonische Dichtung, Wagner in die durchkomponierte Oper).bruckner

Anton Bruckner war ein glühender Vereherer Richard Wagners und wurde dafür von vielen Zeitgenossen, unter anderem von Eduart Hanslick und der von ihm geprägten Musikkritik der spätromantischen Wiener Musikszene, scharf und unbarmherzig kritisiert. Das musikalischer Establishment stand damals hinter Johannes Brahms, die Wagnerianer bildeten eine Art oppositionellen Gegenpol.

So waren Bruckners erste Symphonien, speziell die 3. Symphonie in d-Moll, durch die Bank Misserfolge. Der Durchbruch als Symphoniker gelang Bruckner erst mit der als „Die Romantische“ betitelten 4. Symphonie.

Die erste Fassung der Symphonie wurde 1874 uraufgeführt. Wir werden in Oberwesel, Bonn und Bad Ems die Fassung von 1878/1880 musizieren, die unter anderem ein 1878 neu komponiertes „Scherzo“ enthält und die 1881 von den Wiener Philharmonikern unter Leitung von Hans Richter uraufgeführt wurde.Bruckner 4 Anfang

Die Symphonie ist im Wesentlichen wie ein musikalisches Drama in mehreren Akten angelegt. Obwohl sie als absolute Musik für sich selbst steht, sind von Bruckner selbst einzelne programmatische Bemerkungen dazu
überliefert, etwa seine Charakterisierung einer Melodie als „Gesang der Kohlmeise Zizipe“, während der zweite Satz in Bruckners Vorstellung wohl von verschmähter Liebe handelte.

Wir werden selbstverständlich unsere eigenen Bilder entwickeln, und ich möchte Sie alle ermuntern, dies gerne auch schon bei der Vorbereitung zu tun. Zum Anhören ist beispielsweise die Version von Claudio Abbado zu empfehlen oder Slatkin in Detroit, oder, zum Mitlesen, Haitink und Concertgebouw.

Auch hier ist es wichtig, dass schon vor Probenbeginn alle Mitspieler eine jedenfalls grobe Idee und Vorstellung haben, was wann wie abseits der eigenen Stimme im Orchester passiert. Bruckner komponiert (als ursprünglicher Organist) sehr viel registerorientierter als Beethoven, entsprechend werden wir in den Proben sicherlich einige Zeit mit dem Ausloten der sehr bunt gemischten Registerfarben verbringen, auch hier lohnt es sich, schon in der Vorbereitung genauer hinzuhören (mit wem musiziere ich gerade diese oder jede Linie oder Melodie? Und wie klingt das?).

Ich wünsche uns viel Freude beim Musizieren und Ihnen viel Freude und Energie bei der Vorbereitung!